Rückblick und Ausblick
Vortrag des Bundesvorsitzenden des bvvp, Benedikt Waldherr
bearbeitet von J. Ebert und D.Kramp
Was bringt die Zukunft?
1. Honorarentwicklung seit dem Gründungsjahr des bvvp in 1994
2. Zulassungsrecht – halbe Praxen - Gremienarbeit
3. Psychotherapeuten-Ausbildungsreformgesetz
4. Richtlinienpsychotherapie – Qualitätssicherungsverfahren – Gutachterverfahren
5. Psychotherapie in einer Umbruchphase
6. Resümee
1. Honorarentwicklung seit dem Gründungsjahr des bvvp in 1994
In den 25 Jahren seit Bestehen des bvvp und den nun 21 Jahren Psychotherapeutengesetz hat sich die Psychotherapeutenschaft unter sehr aktiver Mithilfe des bvvp im Gesundheitssystem erstaunlich weit verzweigt, gut etabliert und die Integration der Psychotherapeuten in das KV-System ist letztlich eine grosser Erfolg für uns alle.
Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen diese Erfolgsgeschichte betrachtet werden kann. Zentral ist natürlich die Ebene der Honorarentwicklung.
Hier haben vor allem die bvvp-Musterklagen, die wir konstant über all die 25 Jahre immer wieder angestoßen und durchgeführt haben, eine beharrliche Konstante des schrittweisen Erfolgs gebildet.
Die Honoraranpassungen, die ab Frühjahr 2019 gelten, sind eine indirekte Folge der von uns erkämpften BSG-Rechtsprechung, und mit der zeitnahen Anpassung unserer Honorare an die ärztlichen Vergleichsarztgruppen sind wir nun bei einem Durchschnittshonorar von über 100,-- Euro pro Sitzung angekommen. Vor 25 Jahren, als die bvvp-Verbände an den Start gingen, waren es auf dem Tiefpunkt nach Einführung der Bedarfsplanung teilweise unter 50,-- DM, für die probatorischen Sitzungen teilweise noch erheblich weniger!
Nähme man den Umrechnungskurs 1:2, dann entspräche das heutige Honorar einer Summe von 200,-- DM.
Dieser Erfolg ist Grund zur Freude - allerdings auch Ansporn für das weitere Eintreten für die gerechten Forderungen der Psychotherapeutenschaft. So steht in diesem Jahr unsere Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Strukturzuschläge an (BSG-Urteil vom 11.10.2017). Es wurde angekündigt, dass das Bundesverfassungsgericht sich vermutlich im 2. Quartal 2020 dazu äußern wird. Natürlich können wir das Ergebnis nicht vorhersehen, aber sicherlich ist es ein weiterer Schritt unserer langjährigen juristischen Bestrebungen. Nur zur Erinnerung: Wir greifen die Strukturzuschläge an, weil wir sie für ungerecht halten und sie nicht vereinbar sind mit dem Gleichheitsgrundsatz.
Beim Honorar sind also 25 Jahre bvvp eine Erfolgsgeschichte für die wirtschaftliche Basis der Psychotherapeuten.
2. Zulassungsrecht - halbe Praxen - Gremienarbeit
Durch restriktive Übergangsbedingungen für Psychotherapeuten 1999 wurde die Unterversorgung im KV-System bis zum heutigen Tag strukturell festgeschrieben.
Anfang der 2000er Jahre war allein die Sonderbedarfszulassung ein Mittel, um beispielsweise mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten besonders in ländlichen Regionen in die kassenpsychotherapeutische Versorgung zu holen. Auch Sonderbedarfszulassungen für einzelne Therapieverfahren, wie z.B. die Psychoanalyse (BSG-Urteil vom Juni 2010) brachten wichtige Fortschritte im Hinblick auf die flächendeckende aber auch breitere fachliche Versorgung der Versicherten.
Schließlich führte die weiterhin bestehende chronische Unterversorgung zu Überlegungen, Zulassungen aufteilen zu können. Ende 2006 wurde dies mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz Realität und seitdem ist die Teilung von Sitzen ein weiteres Erfolgsmodell für die Psychotherapie. Die Statistik zeigt, dass zwei halbe Sitze mehr Leistung bringen als ein ganzer Sitz. Es ist etwa der Faktor 1.5, den zwei halbe Sitze zu leisten imstande sind.
Als es 2013 gelang, die Krankenkassen mit Hilfe der KBV dazu zu veranlassen, die psychotherapeutischen Leistungen extrabudgetär zu bezahlen, kam Schwung in die Sitzhalbierung. In einzelnen KV-Bezirken sind inzwischen etwa 50% der Versorgungsteilnehmer in der Psychotherapie halbe Praxen, und der Trend ist ansteigend. Keine andere Arztgruppe neben den Psychotherapeuten hat so ausgiebig Gebrauch gemacht von der Möglichkeit Vertragsarzt- bzw. Vertragspsychotherapeutensitze zu halbieren. Auch die Bedarfsplanungsrichtlinie wurde durch ständigen Druck der organisierten Psychotherapeuten überarbeitet.2013 kamen 1.500 neue Psychotherapeutensitze ins System. Im letzten Jahr 2019 konnten wir mit vereinten Kräften 776 neue Sitze erstreiten. Besonders in ländlichen Regionen entstanden hierdurch neue Psychotherapeutensitze . Auch dies ein großer Erfolg.
Der bvvp war hier stets über die Gremienarbeit beteiligt. Seit vielen Jahren sind wir in verschiedenen Funktionen, wie z.B. den Zulassungsgremien in den KV’en, aktiv und stärken damit den Einfluss und die Verankerung der Psychotherapie im System. Zahlreiche Mitstreiter aus unseren Reihen haben wichtige Ämter im Bereich der Selbstverwaltung bekleidet, sind oder waren Vorstandsmitglieder oder in den Unterausschüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) aktiv. Durch ständiges Argumentieren und Insistieren wurde schließlich auch die Bedarfsplanungsrichtlinie zweimal angepasst 2013 (ca. 1400 neue Sitze) und 2019 (ca. 800 neue Sitze).
Auch wenn es nun zunehmend realistischere Versorgungszahlen und Niederlassungszahlen in der Psychotherapie gibt, fehlen weiterhin flächendeckend Psychotherapeutensitze.
Weil wir als bvvp bei all unseren Aktivitäten den Patienten und seine optimale Versorgung in den Mittelpunkt gestellt haben, ist die Psychotherapie in diesen vergangenen 25 Jahren mit der Integration in die KV-Landschaft erfolgreich gewesen. Deutschland hat europaweit das fortschrittlichste und am besten entwickelte Versorgungssystem im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung. Es gilt allerdings, das Erreichte zu verteidigen und ggfs. auch gegen politische Widerstände weiterzuentwickeln.
Gründung der Psychotherapeutenkammern
Ein weiterer Baustein der Erfolgsgeschichte der Psychotherapie sind die Psychotherapeutenkammern, die für die strukturelle Verankerung der Psychotherapie einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Psychotherapie hätte sich wohl insgesamt nicht so stark entwickeln können, hätte es die Kammern nicht gegeben. Auch hier sind wir engagiert vertreten, wenngleich die Psychotherapeuten-Kammern nicht unser Hauptgebiet sind. Das sind und bleiben die Kassenärztlichen Vereinigungen, auch weil der bvvp etwa zur Hälfte aus Ärzten besteht.
Wir arbeiten jedoch gut mit in den Psychotherapeutenkammern und sind dort Teil des Ganzen. Ilse Rohr im Saarland, Alfred Krieger in Hessen, Martin Klett als Vizepräsident in BAWÜ und Thorsten Michels als Vizepräsident in Hamburg - um nur einige zu nennen - wirken hier in vorderster Reihe.
3. Psychotherapeuten-Ausbildungsreformgesetz
Am 25.11.19 ist das Psychotherapeuten-Ausbildungsreformgesetz nach 15 Jahren Diskussion in Kraft getreten. Gültigkeit erlangt es ab 01.09.2020
Zentrale Inhalte:
- Bachelor-Master-Studiengang zum Psychotherapeuten, (6 Sem. Bachelor, 4 Sem. Master und 3 Mon. Praktikum) mit Approbationsprüfung
- Nur (noch) ein Heilberuf mit Kenntnissen in allen wissenschaftlichen Verfahren und Altersgruppen
- Weiterbildung ( 5 Jahre ) führt zur sozialrechtlichen Anerkennung (Fachkunde) in den Bereichen Kinder –und Jugendliche oder Erwachsene
- Den Master-AbsolventInnen wird die Approbation sowohl für Erwachsene als auch für Kinder-und Jugendliche verliehen.
- Ohne die Weiterbildung, die ebenfalls 5 Jahre dauern wird, können die approbierten Psychotherapeuten theoretisch privat arbeiten und sind berechtigt, Heilkunde auszuüben.
- In der ambulanten und stationären Weiterbildung in den Kliniken und Ambulanzen sind die PiW (Psychotherapeuten in Weiterbildung) nicht mehr Praktikanten, sondern angestellte Psychotherapeuten, die ein Gehalt bekommen.
- Das neue Psychotherapeutenstudium regelt die Ausbildung zum Psychotherapeuten analog dem ärztlichen Weiterbildungsrecht.
- Es gibt keine Zugangsstudiengänge mehr, weder Psychologie noch Sozialarbeit noch Pädagogik sind, wie bisher, ausreichend qualifizierend.
- Es wird Übergangsmöglichkeiten ab 01.09.2020 geben in den Psychotherapeuten-Master-Studiengang.
- Eine Approbationsordnung (Referentenentwurf Mitte Oktober) regelt dies im Detail ebenso wie die Ausprägung der Studiengänge und damit auch das, was die Bundesländer an Finanzierung zu übernehmen haben.
Probleme, die weiter bestehen:
- Bezahlung für die aktuellen PiA und die künftigen PiW während der praktischen, klinischen Tätigkeit ist nur auf minimalem Niveau geregelt worden (Arbeitgeberbrutto nur 1000.- €)
- Finanzierung ambulanter Weiterbildung ebenfalls nur ein Minimum - mindestens 40 % des GKV-Honorars der Ambulanz für den WB–Teilnehmer
- Ungleichheit (Approbation) der Kinder-und Jugendlichen PT nach bisheriger Ausbildung und der künftig Approbierten ( z.B. Altersgrenze der Patienten)
- Sicherung der wissenschaftlich anerkannten Verfahren im Studium (Bachelor/Master) auf dem Niveau der Fachkunde erscheint zumindest fraglich (Approbationsordnung)
4. Richtlinienpsychotherapie - Qualitätssicherungsverfahren - Gutachterverfahren
Das Psychotherapeutengesetz regelt nicht nur die Belange der künftigen Psychotherapeuten während der Aus- und Weiterbildung 79 Veränderungsanträge der Koalition, die zum Teil in sogenannten Omnibussen eingebaut wurden, betreffen maßgebliche Aspekte des SGB V. Die wichtigste Änderung betrifft die Richtlinienpsychotherapie. Dort soll bis zur Einführung eines anderen Qualitätssicherungsverfahrens das Gutachterverfahren abgeschafft werden. Die Frist im Gesetz, der 31.12.2022. ist allerdings gekoppelt an die Existenz eines neuen Qualitätssicherungsverfahrens. Weitere Änderungen betreffen die Neuschaffung einer eigenen Richtlinie für Patienten mit komplexem Behandlungsbedarf . Hier wurde der GBA beauftragt, eine neue Richtlinie, die sektorübergreifend unter Einbeziehung verschiedener Berufsgruppen die Versorgung komplex gestörter Menschen organisieren soll, zu entwickeln. Dazu wird auch zur Vergütung der psychiatrischen Institutsambulanzen der EBM als Honorarmaßstab eingeführt Auch die sofortige Abschaffung der Gutachtenpflicht in der Langzeit-Gruppen-Psychotherapie und die Incentivierung der Kurzzeittherapie, sowie die Möglichkeit probatorischer Sitzungen schon während der stationären Phase werden in den „Omnibus“- Ergänzungen zum SGB V geregelt.
5. Psychotherapie in einer Umbruchphase
Das ganze Gesundheitssystem wird vom derzeitigen Gesundheitsminister Spahn massiv umgekrempelt. Nicht nur Psychotherapeuten sind davon betroffen, auch Ärzte, Apotheker, Krankenkassen, der GBA und vieles andere Bereiche mehr.
Herr Spahn überhäuft die Gesundheitspolitik mit immer neuen und differenzierteren Gesetzesentwürfen. 20 Gesetze in 20 Monaten von der Organspende über die Pflegekräfte zum Implantategesetz, vom TSVG zum DVG 1, vom PsychThG-Reform samt Approbationsordnung zum Gesetz gegen Konversionstherapien, um nur einige zu nennen. Und weitere Digitalisierungspläne, die im DVG 2 münden sollen, sind bereits in Arbeit. Dabei wird die Datenweitergabe der Abrechnungsdaten für Forschungszwecke stark vorangetrieben.
Die elektronische Patientenakte ist zentrales Herzstück des im Herbst verabschiedeten DVG 1 und soll zum 01.01.2021 in Kraft treten. Konnte man der Einführung der TI noch gewisse positive Aspekte abgewinnen, so ist der Erhalt unserer Schweigepflicht bei der elektronischen Patientenakte ein gravierendes Problem. Hier droht eine massive Aushöhlung des Datenschutzes und der Patientenrechte.
Wir Psychotherapeuten werden, ähnlich wie andere Arztgruppen, zu Handlangern eines Gesundheitssystems, das sich stark ökonomischen Zwängen und wirtschaftlichen Interessen der Erforschung der künstlichen Intelligenz unterzuordnen hat.
Die Zukunft der Psychotherapie wird also von Regelungen gesteuert, die z.B. die Kurzzeittherapie fördern und belohnen wird, so dass die ausführliche und für viele schwere Störungsbilder unbedingt notwendige Langzeittherapie, relativ gesehen, unwirtschaftlich wird.
Was wird mit den Kontingenten und der Befreiung von der Wirtschaftlichkeitsprüfung ohne das Antrags-und Gutachterverfahren? Sind die Qualitäten des bisherigen GA-Verfahrens in einem künftigen QS-Verfahren zu erhalten?
Sozialpädagogen und Pädagogen als bisheriger Teil der Profession wird es künftig als Nachwuchs für unseren Verband nicht mehr geben.
6. Resümee
In der Vergangenheit mussten wir uns im KV-System behaupten, z.T. gegen erhebliche Widerstände. Zur Zeit sind wir aber relativ gut integriert, aber weiterhin gilt: Integrationsarbeit in den KV'en ist aber weiterhin obligat.
Seit April 2018 ist sehr viel Bewegung im deutschen Gesundheitssystem. Das heißt Arbeit für alle Berufsverbände und auch für den bvvp.
Die Gesetzesflut aus dem BMG und von Herrn Minister Spahn sind schon jetzt historisch zu nennen.
Es fehlt dazu ein grundsätzlicher, gesamtgesellschaftlicher Diskurs zur Ethik in der Digitalisierung und zu den Folgen des massenhaften Datentransfers. Zwang ist nach unserer Auffassung kein geeignetes Mittel, um hier Kolleginnen und Kollegen z.B. zu neuen Wegen in den Datentransfers überzeugen.
In der Zusammenschau können wir mit Fug und Recht sagen, das in den vergangenen 25 Jahren mehr Licht als Schatten die Entwicklungsgeschichte der Psychotherapie in Deutschland begleitet und diese Entwicklung sich vielfach mit unserer Verbandsgeschichte überlappt.
Aber unsere Geschichte und damit unser gemeinsames Eintreten für die Belange der Patienten und der Psychotherapie ist definitiv nicht zu Ende, sondern in der Zukunft wichtiger denn je!